Vorfreude

Nala hatte kaum geschlafen. Die Aufregung des gestrigen Tages ließ ihr keine Ruhe. Die Bilder, die Klicks der Kamera, die schmeichelnden Worte des Fotografen – alles hatte sie noch im Kopf, als sie sich am Abend in ihrem kleinen Apartment aufs Bett fallen ließ. Sie war erschöpft, aber auch erfüllt. Zum ersten Mal hatte sie sich nicht wie „nur“ eine Praktikantin gefühlt. Sie hatte etwas Außergewöhnliches geleistet, und das Gefühl, über sich hinausgewachsen zu sein, ließ sie nicht los.
Kurz bevor sie das Studio verlassen hatte, hatte der Fotograf sie mit einem Lächeln gestoppt. „Komm morgen früh etwas früher,“ hatte er gesagt, während er sich durch die Fotos klickte. „Wir machen eine weitere Serie. Du hast das Talent, Nala. Zieh dich schon mal aus, bis ich da bin – dann können wir direkt loslegen.“
Der Satz hallte nach, als sie sich im Dunkeln auf ihrem Bett hin und her wälzte. Es klang so beiläufig, fast wie eine Selbstverständlichkeit, aber doch war es mehr. Es war eine Aufforderung, die sie einerseits herausforderte und andererseits elektrisierte. Sie wusste, dass sie es tun würde. Nicht, weil sie musste, sondern weil sie es wollte.
Am nächsten Morgen betrat sie das Studio, während es draußen noch dämmerte. Die Stadt schlief, aber sie war hellwach. Der Raum war still, das Licht gedämpft, und die Atmosphäre hatte etwas Intimes, beinahe Geheimnisvolles. Sie zog ihre Jacke aus, schlüpfte aus ihrer Kleidung und stand schließlich wieder so da, wie sie gestern aufgehört hatte: natürlich, ungeschminkt, verletzlich – und gleichzeitig stark.
Sie bewegte sich durch das Studio, prüfte die Lampen, blickte in den großen Spiegel. Es war kein Unbehagen mehr da, nur Vorfreude. Sie verstand jetzt, was der Fotograf meinte, als er gestern sagte: „Du bist Kunst.“ Es ging nicht nur darum, was die Kamera sah, sondern darum, wie sie sich selbst sah. Und sie begann, sich selbst in einem neuen Licht zu betrachten.
Als sie das vertraute Geräusch der Tür hörte, drehte sie sich um. Der Fotograf betrat den Raum, sein Blick blieb kurz an ihr hängen, dann nickte er zufrieden. „Gut, dass du bereit bist. Lass uns anfangen.“
Die Kamera klickte, und Nala wusste, dass dies ein weiterer Tag sein würde, den sie niemals vergessen würde.